Wandel und Transformation in der institutionellen Struktur des Alevitentums: Vom System der Geistlichenfamilien (Ocak) zu den Derwisch-Orden (tarika) und Ritualsystemen (Sürek)

Autor/innen

DOI:

https://doi.org/10.24082/2022.abked.401

Schlagworte:

Aleviten, Ocak-System, Ritual, Wandel von Ritualen, Entstehung von Orden

Abstract

Der Fokus dieser Studie liegt auf der unter dem Einfluss politischer, gesellschaftlicher und religiöser Ereignisse vonstatten gehenden Entwicklung der Ocaks, die die konstitutive und tragende Einheit des alevitischen Glaubenssystems darstellen. Die heutzutage durch den Oberbegriff „Aleviten“ bezeichneten Gemeinschaften sind im Laufe der Geschichte – und im Grunde bis in die Gegenwart – mit verschiedenen Namen versehen worden. Jedoch hat man erst in den letzten Jahren begonnen, über die Gründe für die jeweiligen Bezeichnungen und die Frage, wie sich die Gemeinschaften voneinander unterscheiden, zu diskutieren. Eine jegliche Bezeichnung ist dabei äußerst komplex und ist Ergebnis diverser Faktoren, wie z.B. charismatische historische Persönlichkeiten, Glaubensstruktur (rituelles Universum, glaubensbezogene Hierarchie) und politische und gesellschaftliche Ereignisse. Die wichtigsten Faktoren bei der Definition der alevitischen Gemeinschaft sind die auf Vererbung basierende Struktur des alevitischen Glaubenssystems und sein rituelles Universum. Rituale waren ausschlaggebend dafür, dass die Gemeinschaft als „die anderen“ definiert wurde. Trotzdem wurden die Rituale in Studien über das Alevitentum oft ignoriert oder aber nicht im Kontext des geschlossenen Charakters der Gemeinschaft betrachtet. Eine der wichtigsten Erkenntnisse vorangehender Forschungsarbeiten ist jedoch, dass es nicht möglich ist, das Alevitentum und seine institutionelle Struktur vollständig zu begreifen, ohne seine rituelle Welt zu verstehen. Allerdings wurden im Laufe der Geschichte immer wieder auftretende Kämpfe um die Gestaltung von Ritualen zu Machtkämpfen zwischen politischen Machthabern verklärt. So sind auch die Bemühungen des Osmanischen Reiches unter Balım Sultan, die auf Vererbung basierende Struktur der alevitischen Gemeinschaften aufzulösen und sie in bestimmten rituellen System unterliegenden Orden umzuwandeln, oder die Bemühungen Schah Ismails und der Erdebil-Tekke, sie nach dem Vorbild der „Buyruk“-Exemplare und dem „Erdebil Erkânı“ umzuformen, als politische Kämpfe oder intrakonfessionelle Konflikte angesehen und sind als solche in die Geschichtsbücher eingegangen, ohne dass der eigentliche Hintergrund dieser Phänomene wirklich verstanden wurde. Wie alle auf einem Glaubenssystem beruhenden Gemeinschaften haben sich jedoch auch die alevitischen Gemeinschaften weiterentwickelt, so dass im Laufe der Zeit neue Bezeichnungen und Rituale entstanden sind. In den von Aleviten bewohnten Siedlungen in der Türkei, Bulgarien und Griechenland, in denen im Rahmen dieser Studie eine Feldforschung durchgeführt wurde, ließen sich unterschiedliche Bezeichnungen und Ritualsysteme feststellen.
Die Feldforschung hat gezeigt, dass es Gemeinschaften gibt, in denen die Cem-Gottesdienste von zwei Personen geleitet werden, oder auch solche, die sich zwar Rifaî, Qadirî oder Nakşibendi nennen, tatsächlich aber bektaschitische Rituale durchführen oder auch Cem-Gottesdienste und Rituale, die jeweils eine Kombination aus Praktiken der Bektaschiten einer- und solchen der Rifaî, Qadirî bzw. Nakşibendi andererseits darstellen. In diesem Artikel wird anhand der untersuchten Bevölkerung der Gemeinschaften die Evolution von Ritualen und der traditionellen Struktur analysiert. Die untersuchte Bevölkerung umfasst zunächst Gemeinschaften, die vom traditionellen Ocak-System zur Ordensstruktur der Babagan-Bektaschiten bzw. Ocak-System zum Ritualsystem übergegangen sind, und Gemeinschaften, die nach der Nominierung von Babas der Babagan an verschiedenen Tekken und Dergahs zur Praxis des doppelt geführten Cems übergegangen sind, weiterhin Gemeinschaften alevitischen Ursprungs, die heute Ordensnamen wie Rifai oder Kadiri tragen, und schließlich Gemeinschaften, die heute als Bektaschi bezeichnet werden, obwohl ihre Struktur traditionell dem Kadiri- oder Rifaî-Orden entspricht. Auf Grundlage der Daten der Feldstudien (Aufzeichnungen von Ritualen, Oral History) und historischer Daten (Dokumente, Stammbäume, etc.) und mithilfe der themenbezogenen Fachliteratur werden in diesem Artikel, soweit es dieses Format erlaubt, der hier als Evolution begriffene Wandel der Rituale und ihre Umbenennung erörternd analysiert.

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Veröffentlicht

2022-12-30

Zitationsvorschlag

[1]
Ersal, M. 2022. Wandel und Transformation in der institutionellen Struktur des Alevitentums: Vom System der Geistlichenfamilien (Ocak) zu den Derwisch-Orden (tarika) und Ritualsystemen (Sürek). Forschungszeitschrift über Alevitentum und Bektaschitentum. 26 (Dez. 2022), 36–66. DOI:https://doi.org/10.24082/2022.abked.401.

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