Gegen ein Alevitentum ohne Ali

Abstract

Diese Studie befasst sich hauptsächlich mit dem Diskurs eines „Alevitentums ohne Ali“, der in den letzten Jahrzehnten entstanden ist und sich seitdem weit verbreitet hat. Dieser Diskurs wird auch heute noch häufig diskutiert und erfreut sich einer relativ großen Anhängerschaft. Dabei legen diejenigen, die die Idee eines Alevitentums ohne Ali zu verbreiten suchen, weder bei der inhaltlichen Präsentation des Themas noch bei der Auswahl der Quellen eine wissenschaftliche Haltung an den Tag, sondern vertreten viel mehr eine ideologische Position. Die Vertreter dieses konstruierten Diskurses konsultieren die Hauptquellen, auf die das Alevitentum zurückgeht oder von denen es inspiriert ist, entweder gar nicht oder ignorieren diese und versuchen, mit Argumenten, die nicht aus der alevitischen Tradition selbst stammen, einen Gegendiskurs zu entwickeln. Bei dieser ideologischen Haltung kann oder will offenbar nicht zwischen dem Phänomen eines politisierten Islams und der islamischen Tradition der Weisheit, aus der sich das Alevitentum und viele andere esoterische Lehren speisen, unterscheiden: Da eine Ablehnung des Islam als Ganzem dieser Ideologie als der kürzeste und bequemste Weg erscheint, flüchtet sie sich in einen Diskurs, demzufolge das Alevitentum außerhalb des Islam zu verorten sei. Andererseits wird auch behauptet, dass das im authentischen alevitischen Diskurs anzutreffende Bild Alis nicht der Realität entspräche, sondern durch und durch von den Gefühlen der Anhänger der Tradition bestimmt sei. Ohne Berücksichtigung der sufistischen Literatur stützt man sich auf die Hadith-Tradition, obwohl deren Authentizität Gegenstand heftiger Diskussion ist, und verkündet, dass ein anderes Bild von Ali existiere und dass dieses das wahre Bild sei. Die Aussage, dass die Vorstellung von Ali im Diskurs des Alevitentums rein fiktiv sei und dass Ali in Wirklichkeit so gewesen sein soll, wie er im Diskurs der sunnitischen islamischen Tradition beschrieben wurde, ist ein Derivat der Behauptung, dass das Alevitentum außerhalb des Islams zu verorten sei. Beide beruhen auf derselben ideologischen Position und sind Ergebnis einer willkürlichen Argumentation. Eine stichhaltige Begründung wurde bislang nicht vorgetragen. So scheint es vielmehr, dass derlei Behauptungen von einem mangelnden Verständnis des Diskurses einer jahrtausendealten Tradition herrühren. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, diese Positionen zu widerlegen.