Orden, Zeremonie, Gesellschaft: über das Wicken-Fest des Bayrami-Ordens

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DOI:

https://doi.org/10.24082/2021.abked.336

Schlagworte:

Bayramiyya, Wicken-Fest, Bayrami-Orden, Ritual

Abstract

Die Bayrami-Lehre und seine Anhänger sind bis heute Gegenstand zahlreicher Studien gewesen. Als eine von zahlreichen sufistischen Gruppen sind sie es jedoch auch weiterhin wert, aus verschiedenen Perspektiven untersucht zu werden. Interessant ist der Orden dabei insbesondere deshalb, weil er sich in Anatolien herausgebildet hat. Zum Repräsentanten dieser Bewegung wurde Hacı Bayram, der aufgrund von Gerüchten, die aller Wahrscheinlichkeit nach den Verdacht betrafen, dass er mit seinen Ideen und Handlungen gegen die vorherrschende sunnitische Lehre verstoßen habe, vom osmanischen Sultan in die damalige Hauptstadt Edirne geladen wurde. Nachdem Hacı Bayram von diesen Vorwürfen entlastet nach Ankara zurückkehrte, entwickelte sich um seine Person herum eine Bewegung mit einer tagtäglich wachsenden Anhängerschaft.

Als wichtigstes Merkmal der Bayramiyya darf eventuell gelten, dass der Orden sich trotz des Einflusses, den er auf große Teile der Bevölkerung und sogar auf Landwirte außerhalb der Städte hat, sich nicht in einer entsprechender Größenordnung institutionalisiert hat. Anders als andere Orden hat der Bayrami-Orden keine Logen und Zawiyas eröffnet und wird zudem nicht von großen Stiftungen unterstützt. Die heute als Bayrami-Logen bekannten Einrichtungen sind fast ausschließlich in Istanbul und erst vergleichsweise spät entstanden.

Für die Anhänger des Bayrami-Ordens stellen Wicken und deren Anbau ein wichtiges kulturelles Erbe dar, was wahrscheinlich dadurch zu erklären ist, dass sich auch Landwirte unter den Ordensanhängern befinden und Hacı Bayram selbst Wicken anpflanzte.

Die Spuren eines Zeremoniells/ Rituals, das von den Bayramis alljährlich begangen und als “Wicken-Fest” bezeichnet wird, dem allerdings bis dato eher wenig Interesse zuteilgeworden ist, lassen sich in das Ankara des frühen 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. Soweit ersichtlich, handelt es sich bei diesem kollektiven Ritual um eine Zeremonie, die im Zuge der Wickenernte an jenen Orten stattfindet, an denen auch Hacı Bayram zu seinen Lebzeiten Wicken anpflanzte. Seit jeher wird diese Ernte als “heilige Ernte” bezeichnet. So versammelten sich die Bayramis wohl zwecks dieser heiligen Ernte zur entsprechenden Jahreszeit in Ankara. Auf dem Weg zu den Feldern, die geerntet werden sollten, übten sie dabei gemeinsam Dhikr aus.

Dies legt zumindest die Tatsache nah, dass der Imam der Hacı-Bayram-Moschee, Hafız Mehmed, als Gegner dieser Feierlichkeit jedes Jahr alle möglichen Lügengeschichten über die Bayramis erzählte. Hafız Mehmed beließ es jedoch nicht hierbei, sondern kommentierte die Dhikrs, die die Bayramis nach dem Morgengebet in der Moschee verrichteten, mit ungeheuerlichen Worten und ließ außerdem den Gebetsruf, den der Muezzin, der wahrscheinlich ein Anhänger des Bayrami-Ordens war, gesungen hatte, von jemand anderem wiederholen. So stiftete er Unfrieden innerhalb der Gemeinde. Mehmed Salih Baba, der zu jener Zeit Postnischin der Hacı-Bayram-Loge war, brachte diese Angelegenheit in Ankara vor Gericht und legte Beschwerde gegen den Imam ein. In Ankara bekam Hafız Mehmed keinerlei Unterstützung, weder seitens der Bevölkerung noch von den führenden Persönlichkeiten und vor allem dem Kadi der Stadt. Da alle gegen ihn aussagten, wurde er seines Amtes enthoben und durch einen anderen Imam ersetzt. Der Imam Hafız Mehmed wurde jedoch wieder eingesetzt, da er unter einer Art Schutz von Feyzullah Efendi stand, der zu jenem Zeitpunkt das Amt des Sheich al-Islam bekleidete. Wie einflussreich der Scheich al-Islam Feyzullah Efendi in Bezug auf Bestechung und Vetternwirtschaft in der Bürokratie des Osmanischen Reiches war, ist auch aus anderen historischen Ereignissen hinlänglich bekannt.

Schließlich versammelte sich 1717, wahrscheinlich etwa zu jenem Zeitpunkt, als das “Wicken-Fest” losgehen sollte, im Basar eine Gruppe, die sich aus dem Imam Hafız Mehmed und zwei Lehrern sowie mehreren Schülern der Medrese zusammensetzte. Bewaffnet und angeführt von Deli Mehmed, der als Ausrufer im Basar arbeitete, gingen sie mit dem Schlachtruf “Sterben wir, werden wir Märtyrer, überleben wir, sind wir Veteranen” auf diejenigen los, die sich versammelt hatten, um das Wicken-Fest zu besuchen. Es wurde eingegriffen und man setzte Istanbul über die drei Personen, die die Angriffe angestiftet hatten, in Kenntnis. In Istanbul beschloss man, dass diese Personen bis zu ihrer Besserung an einen anderen Ort verbannt werden sollten.

In dem vorliegenden Artikel soll dieses Ereignis in seinen Grundzügen beleuchtet werden.

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Veröffentlicht

2021-12-30

Zitationsvorschlag

[1]
Telci, C. 2021. Orden, Zeremonie, Gesellschaft: über das Wicken-Fest des Bayrami-Ordens. Forschungszeitschrift über Alevitentum und Bektaschitentum. 24 (Dez. 2021), 47–72. DOI:https://doi.org/10.24082/2021.abked.336.

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