Vom Topuz Baba zum Ali Koç Baba - Neue Dokumente und Informationen über das Alevitentum in der Gemeinde Alvanlar (Alvanlar Köyü)
DOI:
https://doi.org/10.24082/2018.abked.214Schlagworte:
Alevitentum, Der Geistliche Ali Koç Baba, Der Geistliche Topuz Baba, Das Geistlichenhaus von Ali Koç Baba, Alvanlar (Yablonovo), SiyadetnameAbstract
Dass die charismatischen Glaubensführer des Alevitisch-Bektaschi-Denkens und ihnen treu ergebenen Derwisch-Gemeinschaften im Prozess der Türkisierung und Islamisierung des Balkans einen wichtigen Beitrag geleistet haben, ist durch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen dokumentiert worden. Die von Ömer Lütfi Barkan als “Kolonisatorische Türken-Derwische” bezeichneten Glaubensführer haben bei der Eroberung des Balkans sowohl mit ihren Schwertern zum Sieg in der Schlacht beigetragen als auch danach mit ihren Denksystemen bei der Eroberung der Herzen eine Rolle gespielt. Die in ihrem Namen gestifteten alevitischen Geistlichenhäuser (ocak) übernahmen nach den Eroberungen während der Besiedlung und Islamisierung der Region wichtige Funktionen. Informationen über die Aktivitäten der als Dede, Baba, Abdal, Ata und Sultan bezeichneten Vertreter des Alevitisch-Bektaschi-Glaubenssystems liefern uns die über sie geschriebenen Heiligenviten und Frommen Taten, ferner die Archiv-Unterlagen sowie die in ihren persönlichen Archiven aufbewahrten Dokumente wie Stammbäume, Genehmigungen, Erlasse, Urkunden u.ä. und ferner die bis in die Gegenwart mündlich überlieferten Quellen von alevitischen Geistlichen (dede) und von Gemeinschaften der Strebenden (talip), von denen man glaubt, dass sie vom Geschlecht der charismatischen Glaubensführer abstammen. Es ist bekannt, dass über einen Teil der bekannten Glaubensführer, über die in den offiziellen Archiven und Urkunden Informationen vorliegen, Studien verfasst wurden. Wenn auch nicht in ausreichendem Ausmaße, so konnten diese Arbeiten für neue Forschungsarbeiten und Neuerscheinungen richtungsweisend sein. In den letzten zwanzig Jahren konnten Studien gestartet werden, die sich mit Dokumenten befassten, die in den persönlichen Archiven der charismatischen Glaubensführer und der Geistlichen und der Gemeinden der Strebenden aufbewahrt wurden. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Archiv- und Literatur zentrierten Analyse von sieben Dokumenten und von ihren Feldforschungen, welche in persönlichen Archiven registriert sind.
Das Zentrum von Ali Koç Baba Ocağı, von dem man glaubt, dass es im Namen des in Nikopol (Niğbolu) beigesetzten Ali Koç Baba gegründet wurde, ist das in Bulgarien liegende Dorf İslimiye (Sliven) Alvanlar (Yablanovo). Alle Geistlichen aus den Geistlichenhäusern (ocakzade), die erklärten, dass sie vom Geschlecht des Geistlichenhauses Ali Koç Baba abstammen, waren im historischen Prozess im Dorf Alvanlar wohnhaft, einige von ihnen wanderten jedoch im Zuge politischer und sozialer Entwicklungen im 20. Jahrhundert in die Türkei aus, allen voran nach Thrakien und nach Eskişehir. Die dem Geistlichenhaus Ali Koç Baba Ocağı verbundenen Gemeinschaften der Strebenden (talip toplulukları) haben sich heute in Bulgarien in Alvanlar, in der Türkei in Tekirdağ, Kırklareli, Edirne, Yalova, İzmit, Eskişehir, Kütahya niedergelassen. Ali Koç Baba Ocağı ist ein alevitisches Geistlichenhaus, worüber Wissenschaftlerkreise Studien verfasst haben. Die vorliegende Arbeit liefert eine Bewertung der sieben Dokumente, die wir im Rahmen unserer Arbeiten über das Geistlichenhaus von Ali Koç Baba Ocağı in Bulgarien und in der Türkei gefunden und registriert haben, wobei die Bewertung im Kontext der von uns gesammelten mündlichen Daten und der Archivunterlagen und der vorhandenen Literatur geschieht. Diese Dokumente erreichten uns über die Geistlichen des Ali Koç Baba Ocağı. Vier Dokumente wurden uns von Mehmet Ali Koç und drei Dokumente von dem Geistlichen Hasan Özyiğit Dede übergeben.
Über das Datum und den Inhalt dieser Urkunden können folgende Informationen gegeben werden: Das 1. Dokument kann als ein “siyadetnâme” ohne Datum akzeptiert werden, wobei sein Inhalt sehr in Mitleidenschaft gezogen und ein Teil davon gerissen ist (Ein “siyadetnâme” ist im Verständnis der Aleviten und der Bektaschi eine Urkunde, welche über die Ahnenreihe dokumentiert, dass man ein “seyit” ist, d.h. ein Abkömmling aus dem Geschlecht des Propheten Muhammed und seines Enkelkindes Hüseyin. Anm. der Übersetzers). Nach Zustand seines Blattes und seiner gegenwärtigen Situation zu beurteilen, verfügt der Text die Qualität einer Schrift mit alter Geschichte. Das 2. Dokument konnte in Form eines Textes aufbewahrt werden, da man zwei siyadetnâme- Texte aneinander geklebt hat. Bei den beiden Texten handelt es sich um die Ahnentafel von Seyyid Nureddin, dessen Beiname Topuz Baba ist. Der erste Text stammt aus dem Monat Zilhicce 814 (März 1412), während der zweite Text auf den Monat Zilkade 840 (Mai 1437) zurückgeht. Beide Texte sind Ausfertigungen des Original-Textes, die im 18. Jahrhundert schriftlich verfasst wurden. Das 3. Dokument ist ebenfalls ein siyadetnâme. Es ist ausgestellt worden, um zu bestätigen, dass Seyyid Hasan als seyyid aus dem Geschlecht von Topuz Baba abstammt. Es trägt das Datum des Monats 4. Ramadan 1038 (27. April 1629). Das 4. Dokument handelt als siyadetnâme davon, dass Seyyid Ömer als seyyid vom Geschlecht von Topuz Baba abstammt. Es trägt das Datum vom 29. Rebiülahir 1040 (5. Dezember 1630). Das 5. Dokument ist ein siyadetnâme, das von der Abstammung Seyyid Saltıks als seyyid aus dem Geschlecht von Topuz Baba handelt. Es trägt das Datum 9. Zilkade 1309 (5. Juni 1892). Das 6. Dokument ist ein Brief-Dokument mit Datum vom 17. Schawwāl 1129 (24. September 1717), welches an den Richter (Kadi) von Şumnu verfasst wurde, nach dem sich herausstellte, dass die Privilegien der Koca Baba Sufizelle ignoriert und Steuern verlangt wurden. Das 7. Dokumente ist ein an den Kadi von Şumnu geschickter Ferman (Erlass). Die Verordnung enthält den Befehl, dass keine Steuern für den Ankauf und Verkauf sowie für das Schlachten von Opfertieren in der Sufizelle Koca Baba im Zentrum des Dorfes Elvanlar erhoben werden sollten. Das Dokument trägt das Datum des 10. Ramadan 1229 (26. August 1814).
Drei der sieben Dokumente, die aus den persönlichen Archiven der Familien der Geistlichen stammen, stehen in Zusammenhang mit dem Geistlichen Ali Koca Baba und der Sufizelle (zaviye), die in seinem Namen gegründet wurde. Während eines der Dokumente vom Inhalt her einen Bezug zu siyadetnâme aufweist, handelt es sich bei den anderen beiden Dokumenten inhaltlich um amtliche Akten, welche die Privilegien der Koca Baba Sufizelle bestätigen. Bei allen anderen vier Dokumenten handelt es sich um mehrere siyadetnâme, welche in verschiedenen Phasen bestätigen, dass die Kinder von Topuz Baba Abkömmlinge aus dem Geschlecht des Propheten Muhammed und seines Enkels Hüseyin (seyid) sind. Dass in den siyadetnâme, die vor unserer Arbeit über die Trägerfamilie Ali Koç Baba erschienen, die Rheinfolgen der seyyid, welche sich auf den Stammbaum von Seyyid Topuz stützen, nicht ausreichend behandelt wurden oder gar ignoriert wurden, führte dazu, dass viele Fragen über die Glaubensorganisation in Bulgarien-Alvanlar und in der Gemeinde Topuzlar unbeantwortet blieben. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass im Kontext der genannten Dokumente und Daten, die wir während unserer Feldforschungen gesammelt haben, in der Gemeinde Alvanlar außerhalb des Ali Koç Baba Geistlichenhauses eine alevitische Trägerfamilie existierte, die wir als Topuz Baba Geistlichenfamilie bezeichnen können. Im Lichte der in diesem Artikel gewonnenen neuen Erkenntnisse und in Bewertung aller verfügbaren Fakten wird in einem ganzheitlichem Sinne dargestellt, wie sich die beiden alevitischen Geistlichenfamilien, die in den Dörfern Alvanlar und Topuzlar ansässig waren, im historischen Prozess in ein Dorf und in eine Geistlichenhaus zentrierte Struktur verwandeln konnten.